Die häufig übersehenen Vorteile der Integration schneller Mehrachsbewegungen auf einer einzigen Welle
Wenn Konstrukteure von Antriebssystemen komplexe und schnelle Mehrachsbewegungen realisieren müssen, sind aufwendige, vorkonfektionierte Roboterarme möglicherweise ihre erste Überlegung. Oder sie konfigurieren bei nur wenigen benötigten Achsen je eine separate Profilschiene oder Rundwelle pro Achse. Jedoch verbirgt sich zwischen diesen Möglichkeiten die einfache und bewährte, aber oft vergessene Kugelkeilwellen-Technologie. Diese Lösung für mehrachsige Bewegungen gibt es schon seit Jahren und eignet sich auch heute noch für viele komplexe Bewegungsabläufe . Die einzigartige Bauweise von Kugelkeilwellen kombiniert Rotations- und Linearbewegungen auf einer einzigen Welle. Dadurch sind sie besonders flexibel bei der Realisierung komplexer Bewegungsprofile auf engem Raum – sozusagen eine 2-in-1-Lösung für die Bewegungssteuerung (Abbildung 1).
Abbildung 1: Kugelkeilwellen, die Rotations- und Linearbewegungen auf derselben Welle ermöglichen, bieten hohe Zuverlässigkeit und lange Lebensdauer unter wechselnden Betriebsbedingungen. Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Thomson Industries, Inc.
Integration von Rotations- und Linearbewegungen
Kugelkeilwellen erlauben die Umsetzung sowohl linearer als auch rotatorischer Bewegungen. Dazu dient eine gemeinsame Welle, die zwei voneinander unabhängige Bewegungen ermöglicht (Abbildung 2). Bei genauerer Betrachtung der Welle sieht man axial geschliffene Längsrillen, die sogenannten „Keilnuten“. Das Gegenstück ist die Kugelwellenmutter, die entlang der Axialnuten läuft und Drehbewegungen erzeugt bzw. radiale Momentlasten aufnimmt. Jede Mutter wird von einem Lager und zumeist einem gemeinsamen Verankerungspunkt wie einem Rundrohr abgestützt, das an einer vom Mechanismus getragenen Halterung befestigt ist. Jede Mutter wird separat von einem Motor (zumeist mit Riemenantrieb) angetrieben, der die Steuerung der jeweiligen Bewegungsachse übernimmt.
Für die axiale Rotation wird die Keilwellenmutter gedreht. In der Mutter befinden sich eine Reihe von Kugeln, die eine ungehinderte Bewegung entlang der Achse ermöglichen (d. h., die Mutter gleitet mit minimaler Reibung auf der Welle). Bei einer Rotationsbewegung üben dieselben Kugeln über die Keilnuten eine senkrechte Kraft auf die Welle aus, sodass diese sich dreht.
Um eine lineare Bewegung zu erzeugen, wird die Keilwelle mittels Linearaktuator –Hydraulik, Pneumatik oder Elektro-Kolben – vorwärts/rückwärts bewegt. Wenn sich die Keilwellenmutter entlang der Welle bewegt, rollen die Lagerkugeln in den Nuten. Ein Rollen statt Gleiten weist einen geringeren Reibungs- und Verschleißkoeffizienten auf. sodass eine gleichmäßige, präzise Linearbewegung bei höheren Geschwindigkeiten realisierbar ist. Die Kugeln zirkulieren in der Mutter und sorgen so für einen ständigen Rollkontakt mit der Welle.
Dank der Verankerung/Abstützung ist diese Konstruktion zudem extrem widerstandsfähig gegen Torsionslasten (d. h. die Welle dreht sich nur, wenn sie vom Motor angetrieben wird). Wirkt beim Ausfahren/Einfahren/Stillstand eine externe Torsionslast auf die Welle, wird sie von der Keilwellenmutter fixiert und hält dieser Last stand. Diese Besonderheit ist – neben der „2-in-1“-Lösung auf einer Welle – ebenso vorteilhaft für Applikationsingenieure.
Die Möglichkeit, mit nur einer Welle auszukommen, bietet zahlreiche Vorteile: Bessere Nutzung des Einbauraums, erhöhte Tragzahlen, Geschwindigkeit und Genauigkeit bei vernachlässigbarer Reibung, höhere Langlebigkeit und minimalem Wartungsaufwand.
Abbildung 2: Indem sie sowohl Linear- als auch Rotationsbewegungen auf einer einzigen Welle ermöglichen, bieten Kugelkeilwellen vielfältige Vorteile für Robotiksysteme, wie z. B. erhöhte Kompaktheit, Tragzahl, Geschwindigkeit und Genauigkeit. Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Thomson Industries, Inc.
Bessere Ausnutzung des Einbauraums
Die Zusammenführung mehrerer Achsen auf eine einzige Achse macht Kugelkeilwellen deutlich platzsparender als herkömmliche Lager. Diese Bauweise bedeutet weniger Komponenten und bewegliche Teilen sowie höhere Tragzahlen als mit vergleichbaren Linearlagern bei identischem Platzbedarf.
Höhere Tragzahl
Die besonders breiten, präzisionsgeschliffenen Nuten erhöhen die Belastbarkeit und verbessern zugleich die Stabilität und Steifigkeit. Somit können bis zu doppelt so hohe Momentlasten im Vergleich zu herkömmlichen Lagerbaugruppen aufgenommen werden. Außerdem wird bei Kugelkeilwellen die Last über die gesamte Länge der Welle verteilt. Auf diese Weise können sie höhere Lasten tragen als herkömmliche Lager, bei denen sich die Belastung auf kleinere Bereiche konzentriert. Nicht zuletzt vertragen Kugelkeilwellen außermittige Belastungen besser, wie sie bei Werkzeugwechsel- und Bestückungsanlagen üblich sind.
Vernachlässigbare Reibung
Das Kugelführungssystem sorgt für eine nahezu reibungsfreie Bewegung. Dafür verantwortlich ist der präzise Kontakt mit den Tangentialpunkten der Lagerkugeln, die in den Nuten der Keilwelle und im Laufring innerhalb der Mutter geführt werden.
Höhere Geschwindigkeiten
Kugelkeilwellen benötigen nur geringe Kräfte, um die Keilwellenmutter axial zu verfahren, während sie das Drehmoment übertragen und die Reibung minimieren. Daraus folgt eine etwa 20-prozentige Geschwindigkeitssteigerung im Vergleich zu einem herkömmlichen Kugelgewindetrieb sowie eine höhere Laufruhe. Somit erreichen Kugelkeilwellen Geschwindigkeiten von bis zu 2 m/s.
Hohe Präzision und Genauigkeit
Kugelkeilwellen bieten eine hochgenaue Positionierung und eignen daher ideal für Anwendungen, die eine präzise Steuerung erfordern. Die Spielfreiheit stellt sicher, dass bei Richtungswechseln kein Rotationsspiel oder Totgang auftritt. Da diese Präzision und geringe Reibung selbst bei hoher Belastung erhalten bleiben, ist stets eine genaue, gleichmäßige Bewegung gewährleistet.
Unkomplizierte Montage und Wartung
Die Montage gestaltet sich äußerst einfach. In der Regel genügen simple Gewindebohrungen, um die Flanschmutter zu befestigen, bzw. eine Bohrung mit Passfedernut für eine zylindrische Mutter. Ebenso einfach sind dank ihrer einfachen Bauweise die Fehlersuche und Wartung von Kugelkeilwellen. Im Gegensatz zu wartungsintensiven Profilschienen und Kugelgewindetrieben muss das Wartungsteam die Keilmutter lediglich von der Welle abziehen, schmieren und wieder einbauen.
Hohe Langlebigkeit
Dank der größeren Kontaktfläche der Lagerkugeln, wodurch sich die Belastung reduziert und die Tragfähigkeit erhöht, weisen Kugelkeilwellen Im Vergleich zu den meisten herkömmlichen Lagern eine deutlich längere Lebensdauer auf. Je weniger die Kugeln einer Belastung ausgesetzt sind, umso mehr Last können sie aufnehmen. Somit sind sie verschleißfest und liefern über einen längeren Zeitraum hinweg eine gleichbleibend zuverlässige Leistung.
In der Regel können Kugelkeilwellen mit Dichtungen und Schutzabdeckungen ausgestattet werden, um die Kugellager vor Verunreinigungen wie Staub und Schmutz zu schützen und so ihre Lebensdauer weiter zu verlängern. Im Gegensatz zu einem Radiallager, bei dem die Kugeln exakt und aufwändig positioniert werden müssen, um die Last zu verteilen, liefert eine Kugelkeilwelle eine sichere Belastbarkeit aus jedem Winkel.
Kosteneinsparungen
Bereits beim Kauf dieser alternativen Lösung, um zwei Bewegungsachsen zu realisieren, sind die Einsparungen beträchtlich und vervielfachen sich bei höheren Stückzahlen. Im Vergleich zu vorkonfektionierten Mehrachssystemen sind Kugelkeilwellen deutlich preiswerter. Genauso sind sie auch wirtschaftlicher als Profilschienen, da sie weniger Komponenten und bewegliche Teile aufweisen. Sie bieten trotz des günstigeren Preises eine bessere Momentbelastbarkeit und erfordern für die Montage weniger Aufwand bei der Oberflächenvorbereitung. Verglichen mit Rundwellenführungen sind die Kosten für Kugelkeilwellen ähnlich, allerdings bei geringerem Platzbedarf und weniger Achsen. Langfristig gesehen müssen weniger Komponenten gewartet werden, was sowohl Zeit als auch Kosten einspart.
Anwendungsbereiche
Entwickler, die lineare mit rotatorischen Bewegungen integrieren müssen, sollten die Technologie der Kugelkeilwellen in Betracht ziehen. Möglicherweise ist es von Vorteil, beide Bewegungen auf ein und derselben Welle umzusetzen. Im Folgenden einige Anwendungsbeispiele aus den Bereichen Fabrikautomation, Transport, Gesundheitswesen und Forschung, bei denen die Vorteile der Kugelkeilwelle bereits genutzt werden:
Fabrikautomation
- Wiederholgenaue Bestückung, wie z. B. die hochschnelle Platzierung von Halbleiterobjekten, bei der ein Arm das Teil vom Montagetisch aufnimmt, sich dreht und auf einem anderen ablegt.
- CNC-Werkzeugpositionierung bei Bearbeitungs- und Fräsvorgängen.
- Verpackungsautomaten für die präzise Steuerung von Abfüll- und Verschließmechanismen.
Transport
- Steuerungen an Flugzeugen, wie das Ausfahren der Landeklappen und die Drosseleinstellung.
- Militärfahrzeuge zur Unterstützung der Drehbewegung, Waffenausrichtung und Fahrzeuglenkung.
Gesundheitswesen und Forschung
- OP-Roboter zur Führung robotergestützter chirurgischer Eingriffe.
- Medizinische Bildgebungsgeräte für die präzise Bewegung von CT-Scannern oder anderen hochpräzisen Bilderfassungsgeräten.
- Laboranalysen, z. B. Mikroskoptisch- und Probenpositionierung.
Die Vorteile von Kugelkeilwellen prädestinieren sie für zahlreiche Anwendungen, beispielsweise (v.l.n.r.) CNC-Bearbeitung, Papiermaschinentrommeln, Bestückung und Maschinenautomatisierung. Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Thomson Industries, Inc.
Um Maschinenkonstrukteure bei der optimalen Spezifikation von Kugelkeilwellen für ihre Anwendungen zu unterstützen, bieten einige Hersteller Online-Ressourcen an. Ein auf dem Markt verfügbares Auswahltool für Kugelkeilwellen verwendet beispielsweise grafische Ansichten, mit denen die Anwender in wenigen Minuten die bestmögliche Konfiguration ermitteln.
Eine sinnvolle Alternative
Kugelkeilwellen sind eine interessante Lösung für Maschinenkonstrukteure, die mehrachsige Bewegungen benötigen. Im Vergleich zu vorgefertigten Mehrachssystemen benötigen sie weniger Platz und bieten einen Betrieb mit höheren Geschwindigkeiten, geringerer Reibung, höherer Präzision, längerer, berechenbarerer Lebensdauer sowie unkomplizierter Wartung. Darüber hinaus sind sie auch häufig kosteneffizienter.
Kugelkeilwellen können zwar ganze Roboterarme ersetzen, sind aber aufgrund ihres geringen Platzbedarfs und ihrer Spielfreiheit auch als Komponenten solcher Baugruppen geeignet, um den Vertikalhub zu verlängern oder größere Radial- und Axiallasten aufzunehmen.
Prozesse werden immer komplexer. Digitalisierung, KI und Entwicklungen der Mobilität integrieren immer mehr Bewegungsachsen in Automatisierungsstrategien. Somit könnte die einzigartige Leistungsfähigkeit und Vielseitigkeit der Kugelkeilwelle endlich den Respekt erhalten, den sie seit langem verdient.